KURIER INTERVIEW MIT MARTIN TIANI — ANTIGENTESTS ALS WELLENBRECHER
Der Antigen Test sollte rehabilitiert werden. Das haben sich einige Mitglieder der Expertenrunde vorgenommen, die unter dem Vorsitz von Antonelle Mei-Pochtler ein Maßnahmenpapier vorbereitet, das Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) m Montag erhalten soll. Die These: Um die vierte Corona-Welle zu brechen, dürfte nicht nur auf PCR-Tests gesetzt werden. Es müsse auch in niederschwelliger und damit intensiver getestet werden. Dieser Ansatz kommt überraschend, weil zuletzt die Antigentests — gleichgültig ob in der Teststraße, einer Apotheke oder im Wohnzimmer — immer mehr ins Abseits gedrängt worden waren. „Die Antigentests sind leider ein bisschen in Verruf gekommen“, sagt Martin Tiani, Software Entwickler im Gesundheitsbereich und Mitglied des Beratergremiums. Er sieht gerade in diesen Tests den Weg aus der Krise. Basierend auf einer Studie von Niki Popper, Claire Ripplinger und Martin Becher. Die haben sich die Entwicklung in den beiden Bundesländern angesehen. Mit der Vorgabe, dass die effektive Reproduktionszahl (R) unter die kritische Marke <1 fallen muss. Das ist jene Zahl, die ausdrückt, wie viele Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt, wenn im Land bereits Maßnahmen unternommen worden sind bzw. Teile der Bevölkerung bereits immun sind.
Rasche Erfolge
Laut der Studie könnte die Zahl innerhalb weniger Tage auf <1 gesenkt werde, wenn die Testfrequenz mithilfe von Antigentests in Salzburg täglich um rund 50.000, in Oberösterreich um rund 120.000 erhöht werden könnten. Natürlich wären PCR-Test sensitiver, genauer. Aber: „Nationale und internationale Studien belegen, dass für die rasche Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht die Sensitivität der Testmethode, sondern vor allem die Frequenz und das schnelle Vorliegen des Testergebnisses relevant sind.“ Dieser Satz stammt ebenfalls aus dem Papier von Martin Tiani, das er für die Expertenkommission Future Operation erarbeitet hat. Wobei er auch den Wohnzimmertest in diese Überlegungen einbezogen hat. Entscheidend sei nur, dass er auch korrekt durchgeführt wird. Der Vorschlag dazu: „Um Fälschungen vorzubeugen und die konkrete Durchführung der Testabnahme zu kontrollieren, wir allerding eine telemedizinische Überwachung empfohlen, die auch von Ärzten oder befugten Stellen beglaubigt und zertifiziert wird.“ Professor Alexander Gaiger von der Med-Uni Wien bringt ein weiteres Argument ins Spiel: „Das lange Anstellen bei den Teststraßen oder engen Apothekenräumen stellt ein enormes Gesundheitsrisiko für alle Beteiligten dar.“ Das wohl schlagendste Argumet ist die Tatsache, dass das flächendeckende PCR-Testen derzeit nur in Wien funktioniert. In den Bundesländern muss man teilweise mehrere Tage auf ein Ergebnis warten. Tiani: „Das führt das Testen ad absurdum. In der Wartezeit kannst du schon infektiös herumlaufen und andere anstecken.“ Worauf Tiani pocht: Eine Antigen-Strategie soll nicht die PCR-Testungen ersetzen. Ideal wäre ein Hybrid-System, das auf beides setzt. Oder wie es Alexander Gaiger formuliert „Es ist wie ein Buddy-System: Dort wo der eine nicht kann, springt der andere ein.“ — Falls die Antigentests vom Gesundheitsministerium auch offiziell wieder aufs Corona-Spielfeld geholt werden.
Schnelligkeit versus Zuverlässigkeit
Antigen- und PCR-Tests: Was sie unterscheidet
Wie unterscheiden sich Antigen- und PCR-Tests?
Bei Antigen-Tests werden Proteinie bzw. die Proteinhülle des Virus nachgewiesen, bei PCR-Tests das Erbgut des Virus. Der Vorteil den Antigen-Tests: Das Ergebnis liegt in 15 Minuten vor. Durch diese schnelle Identifikation zumindest eines Teils von infektiösen Personen können infektionsketten rasch unterbrochen werden. Nachteil: Ihre Sensitivität (Empfindlichkeit) ist geringer als jene von PCR-Tests, ihre Qualität ist auch sehr unterschiedlich. Untersuchungen auf Virusvarianten sind nicht möglich.
Wien empfindlich sind die Antigen-Tests?
Laut Auswertung von 64 Studien durch das Cochrane-Netzwerk wurden bei Personen mit Symptomen in der ersten Woche im Durchschnitt 78% der Covid-Erkrankten korrekt als infiziert identifiziert. Bei Infizierten ohne Symptome erkannten die Antigentests im Schnitt 58% die Infektion, die anderen waren also „falsch negativ“. Bei PCR-Tests kommt es nur in seltenen Fällen zu solchen falsch negativen Ergebnissen. Deshalb gelten sie las Goldstandard.
Welche Erfahrungen gibt es in Deutschland, das verstärkt auf Selbsttests setzt?
„Vor Symptombeginn sind Schnelltests einfach nicht empfindlich genug…Bei Geimpften scheint die Empfindlichkeit noch schlechter (vorläufige Daten)“, schrieb der Virologe Christian Drosten kürzlich auf Twitter. Und er postete folgenden Fall: 20 Menschen um die 30 Jahre kamen zu einer Feier zusammen — alle waren entweder doppelt geimpft (aber alle ca. 6 Monate zurückliegend) oder genesen — und alle hatten am Tag des Treffens einen Schnelltest gemacht. Alle Tests waren negativ. Drei Tage danach hatte der erste Teilnehmer Fieber und Husten, der Antigentest vier Tage nach der Feier war positiv. Insgesamt erkrankten 10 der 20 Teilnehmer an Covid, alle dann mit positivem PCR-Test.
Könnten Antigen-Tests wieder eine wichtigere Rolle spielen?
Diese Ansicht vertritt etwa der frühere Harvard-Epidemiologe Michael J. Mina: „Die regelmäßige Anwendung von Schnelltests kann Schulen und Arbeitsplätze sicherer machen“ — indem jene erkannt werden, die das Virus am wahrscheinlichsten weitergeben. Um Ängste bezüglich falsch negativer Tests zu reduzieren, müsse sie aber häufig angewandt werden. Nach seinen Modellierungen kann bereits ein breites, regelmäßiges zweimaliges Testen pro Woche eine signifikante Virusausbreitung verhindern. Auch in Regionen mit hohen Impfraten seine diese Tests sinnvoll.
english version below
KURIER INTERVIEW WITH MARTIN TIANI — ANTIGEN TESTING AS A WAVE BREAKER
The antigen test should be rehabilitated. This is the aim of some members of the expert panel chaired by Antonelle Mei-Pochtler, which is preparing an action paper to be submitted to Health Minister Wolfgang Mückstein (Greens) m Monday. The thesis: to break the fourth Corona wave, should not be relied only on PCR tests. It would have to be tested also in low-threshold and thus more intensively. This approach comes as a surprise because recently antigen tests — whether in the test lane, a pharmacy or in the living room — had been increasingly sidelined. “Antigen testing has unfortunately fallen into a bit of disrepute,” says Martin Tiani, a healthcare software developer and member of the advisory panel. He sees these very tests as the way out of the crisis. Based on a study by Niki Popper, Claire Ripplinger and Martin Becher. They looked at the development in the two states. With the stipulation that the effective reproduction number (R) must fall below the critical <1 mark. This is the number that expresses how many people an infected person infects on average if measures have already been taken in the country or parts of the population are already immune.
Rapid success
According to the study, the number could be reduced to <1 within a few days if the testing frequency could be increased by about 50,000 daily in Salzburg and by about 120,000 in Upper Austria with the help of antigen tests. Of course, PCR tests would be more sensitive, more accurate. But: “National and international studies prove that for the rapid containment of infection, it is not the sensitivity of the test method that is relevant, but above all the frequency and the rapid availability of the test result.” This sentence also comes from Martin Tiani’s paper prepared for the Future Operation expert committee. Whereby he also included the living room test in these considerations. The only decisive factor, he says, is that it is also carried out correctly. The proposal: “In order to prevent falsification and to control the actual performance of the test, we recommend telemedical monitoring, which is also certified by physicians or authorized bodies. Professor Alexander Gaiger of Med-Uni Vienna brings another argument into play: “The long lines at test lanes or cramped pharmacy rooms pose an enormous health risk for everyone involved.” Probably the most compelling argument is the fact that area-wide PCR testing currently only works in Vienna. In the provinces, you sometimes have to wait several days for a result. Tiani: “That makes testing absurd. In the waiting time, you can already walk around infectious and infect others.” What Tiani insists is that an antigen strategy should not replace PCR testing. A hybrid system that relies on both would be ideal. Or as Alexander Gaiger puts it “It’s like a buddy system: where one can’t, the other steps in.” — If antigen testing is also officially brought back onto the Corona playing field by the Ministry of Health.
Speed versus reliability
Antigen and PCR tests: what makes them different
How do antigen and PCR tests differ?
Antigen tests detect the protein or protein envelope of the virus, while PCR tests detect the genetic material of the virus. The advantage of antigen tests is that the result is available in 15 minutes. This rapid identification of at least a portion of infectious individuals allows infection chains to be quickly interrupted. Disadvantage: Their sensitivity (sensitivity) is lower than that of PCR tests, their quality is also very different. Tests for viral variants are not possible.
How sensitive are antigen tests?
According to the Cochrane Network’s analysis of 64 studies, in people with symptoms in the first week, on average 78% of covid sufferers were correctly identified as infected. In infected individuals without symptoms, antigen tests identified an average of 58% as infected, so the others were “false negatives.” With PCR tests, such false negative results occur only in rare cases. Therefore, they are considered the gold standard.
What is the experience in Germany, which is increasingly relying on self-testing?
“Before symptom onset, rapid tests are simply not sensitive enough…In vaccinated people, sensitivity seems even worse (preliminary data),” wrote virologist Christian Drosten recently on Twitter. And he posted the following case: 20 people in their 30s got together for a party — all were either dually vaccinated (but all about 6 months past) or recovered — and all had taken a rapid test on the day of the meeting. All tests were negative. Three days later, the first participant had a fever and cough, and the antigen test four days after the celebration was positive. In all, 10 of the 20 participants contracted covid, all then with positive PCR tests.
Could antigen testing play a more important role again?
That’s the view of former Harvard epidemiologist Michael J. Mina, for example: “Regular use of rapid tests can make schools and workplaces safer” — by detecting those most likely to pass on the virus. But to reduce fears about false-negative tests, he said, it must be used frequently. According to his modeling, even broad, regular testing twice a week can prevent significant viral spread. Even in regions with high vaccination rates, his tests make sense.